Als Eduard Franoszek 1959 and die Berliner Hochschule der Künste kam, um bei Fred Thieler Malerei zu studieren war er � im Vorfeld � ein Künstler mit abstrakten Ambitionen. Es gibt noch einige großformatige Bilder aus jener frühen Sechziger-Jahre-Zeit, die sich dramatisch geben, mit furiosem Aufbau und tiefen Schwärzen.
Welch ein Weg von diesen, noch nicht sehr eigenbestimmten Arbeiten bis zu den außerordentlich sensiblen, hintergründigen Blättern der späteren und letzten Jahre. Übergreifend könnte man sagen, daß es sich um einen lebenslangen Prozeß von fortwährender Vertiefung und Anverwandlung an bestimmte Dinge handelt. Dinge die für Eduard Franoszek zum Ausdrucksträger von "Welt" geworden sind, in der Spannung zwischen alltäglichem Gegenstand und der ihm innewohnenden Metaphorik.
Bis dahin freilich gab es verschiedene Schritte in divergierenden Richtungen. Um 1972 tauchten jene geballten, biomorphen Gebilde auf, die sich eingezwängt in Stangen und Verschnürungen, als Assoziationsbilder zu schlimmer menschlicher Existenz erweisen. In rötlich-gelber Farbgebung, Blut, Eiter und Ekel ausschwitzend, waren sie dem traumatischen Weltbild eines Francis Bacon näher als ein Großteil jener Sozio-Kunst, die sich Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre als Tagespostulat behauptete. Aber auch diese Arbeiten waren nur Zwischenstufen auf dem Weg zur eigenständigen und unverwechselbaren künstlerischen Ausdruckswelt Eduard Franoszeks.
1972 stieß Eduard Franoszek während eines längeren Aufenthaltes in Südfrankreich auf eine alte Publikation über Drucktechniken. Dies war die Sternstunde für die weitere Arbeit. Fritze Margull, der lange Jahre als Franoszeks Assistent an der Druckwerkstatt der HdK arbeitete, hat die spannenden und zeitraubenden Erkundungen für die neue Technik des fotosensibilisierten Druckverfahrens in einem eigenen Katalogbeitrag ausführlich beschrieben. Festzuhalten ist, daß Eduard Franoszek von da an das ihm und seiner Kunst adäquate Medium gefunden hatte. Die Komplexität der Technik, die das Imaginierte erst nach und nach "ans Licht" holt, entspricht dem Schritt um Schritt sich enthüllenden Sinngehalt der Gummidrucke und der Heliogravuren, die Eduard Franoszek in den folgenden beiden Jahrzehnten geschaffen hat.
Zunächst bleiben die Motive weiterhin stark der Aussenwelt verhaftet und zeigen noch Aspekte von appellartigen Botschaften: Schulbänke, Hocker, eine Puppe, Körperteile wie Ohren und Münder, Fensterausschnitte - eine außengeleitete Sicht auf Alltagsgegenstände. Das ändert sich in den folgenden Jahren grundsätzlich. Es ist mir nicht bewußt, wann und in welchem Zusammenhang Eduard Franoszek den Absprung, besser gesagt, den Übergang gefunden hat zu jener alles tragenden Metapher des Schuhs. Schuhe, Stiefel, in der grafischen Darstellung wie später auch als handfester Gegenstand, schließlich als Environment in den Raum gestellt, werden zur Obsession des Künstlers, hinter der alles Gesagte zurücktritt.
Was bisher nicht deutlich genug ausgesprochen wurde, und wohl weniger im allgemeinen Bewußtsein ist, betrifft Eduard Franoszeks innovative Schubkraft. So stammt die Idee, eine Selbsthilfegalerie zu gründen, ursprünglich von ihm. Tatsächlig wurde "Großgörschen" ein Jahr später, umständehalber ohne Eduard Franoszek eröffnet. Eine weitere Pioniertat war die Erweiterung der Druckwerkstatt am damaligen Fachbereich IV durch Siebdruck und Fototechnik. Solche Anregungen trugen zur Entwicklungsgeschichte der Berliner Kunstszene natürlich entscheidend mit bei. Eduard Franoszek hat die Erfahrungen mit den neu gewonnenen Druckverfahren immer weiter verfeinert und sie bis zum Ende seines Lebens an eine dankbare und ihn verehrende Schülerschar weitergegeben.
Er selbst jedoch ging, was die eigene Arbeit betrifft, von einem gewissen Zeitpunkt nach innen. Bedingt wohl auch durch seine progressive schwere Krankheit, tauchte er bewußt in eine gewisse Isolation ein, um seine Kräfte auf den Punkt zu konzentrieren.
Sichtbarer Ausdruck ist die Beschränkung auf das schon erwähnte Zentralmotiv Schuh, das im Lauf der Jahre eine ungeahnte Fülle von Variationen entfaltet. Schuhe erscheinen zunächst als elegante Damenpumps mit zierlichen geschwungenem "Louis-Quinze"-Absatz, stets aus der Seitensicht. Später gesellen sich Stiefel und Kinderschuhe dazu. Vor dem Umsetzen in die Grafik werden sie in Mischtönen in Schwarz bis Weiß bemalt. Und schließlich treten bemalte Schuhe buchstäblich in Blickfeld; Fetischismen einer feinsinnigen Fixierung. Sie stehen in Kästen, auf Kommoden und Tischen, einzeln oder zu Gruppen vereint. Environments von starker Suggestivkraft.
Schuhe sind von altersher wichtige Attribute des Menschen, oder auch der Götter, wie etwas in der geflügelten Fußtracht des Hermes. Als Siebenmeilenstiefel besitzen sie Zauberkraft. Selbst in seiner simpelsten, säkularisierten Form (meilenweit geh ich für Camel Filter) strahlt das Schuhmotiv noch einen Hauch mythischer Ursprünglichkeit aus. Zweifelos ist der Schuh aber auch in seiner erotischen Konnotation zu sehen. So muß im Aschenputtel-Märchen erst die Richtige kommen, zu der der Schuh paßt, ehe sich Wunsch und Weissagung erfüllen. In Claudels großem Welttheaterstück "Der seidene Schuh" wird das Motiv sogar als "Hemmschuh" gegen (unerlaubte) sinnliche Triebkraft eingesetzt, um der Heldin einen Fehltritt zu ersparen.
Schuhe haben auch bei Eduard Franoszek ihr eigenes geheimes Leben zwischen Gebrauchswert und metaphorischer Überhöhung. Auf seinen Blättern und den Assemblagen sieht man buchstäblich ihrer Verwandlung zu. Niemals sind Schuhe als nüchternes Abbild wiedergegeben, sondern wachsen gleichsam Schicht für Schicht von innen nach außen. Ihre fleckige, fast morbide Existenz, die sich in flackernden Grau-Schwarz-Weiß-Nuancen niederschlägt, läßt sie transparent erscheinen für Tiefen und Untiefen. Die komplizierte grafische technik geht mit der Aussage konform.
Der Schritt vom Zwei- ins Dreidimensionale hat dem Franoszekschen Schuh-Theater eine neue Dimension hinzugefügt. Die Schuhe betreten jetzt (man achte auf das Wort betreten) eine Bühne und verlassen ihre passive Dasseinsform, geben eine Bewegungsrichtung an und warten vielleicht ihrerseits auf ein magisches Zauberwort. Dem Vernehmen nach hat Eduard Franoszek bis an sein Lebensende Schuhe gesammelt und in Schränken gehortet. Ungezählte Exemplare als Rohstoff für eine unendliche Geschichte.
Lucie Schauer
Aus Eduard Franoszek, "...das sieht doch keiner". Katalog zur Austellung vom 19.10. bis 2.11.1996 in der Hochschule der Künste, Berlin.
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Assoziationen, 2007 | |
das sieht doch keiner... | |
Hm..., 1996 | |
Hinter den Dingen, 1996 | |
Großgörschen 35, 1968 | |
Göttingen 1967 | |
Lorenz Frank 1966 | |
Witten 1966 | |
Falazik 1965 | |